Erlebnisbericht Schulstart
„Unser Projekt hat grösseres Ausmass angenommen. Es geht hier nicht mehr „nur um Schule“ sondern um das Überleben der Nomaden von Kharnak und könnte für alle anderen Nomadengruppen richtungsweisend sein. "
Inoffizieller Schulstart
Der inoffizielle Schulstart war anfangs Juni (nach Absprache mit dem Astrologen der Kharnak-Nomaden) mit einem langsamen Anrollen der Schule ohne Uniformen und mit kleinem Stock an Ausrüstung und einem ersten dreitägigen Lager- und so auch Schulumzug. In dieser Zeit haben wir die Bedürfnisse der Schule, der Schüler und des Lehrers studiert und anschliessend das Schulmaterial komplettiert und aufgestockt. Wir haben diesen Weg gewählt, weil es die erste Schule Ladakhs in dieser Art ist und absolut keine Erfahrungswerte vorliegen.
Offizieller Schulstart und Eröffnungsfeier
Der offizielle Schulstart und die Eröffnungsfeier waren am 24. Juni 2009. Dieses Datum liessen wir von Thubstan Shanfan, dem mit Abstand wichtigsten Astrologen Ladakhs festlegen. Er berechnet z.B. auch sämtliche Daten für jedes Klosterfest etc. in ganz Ladakh. Die Eröffnung dieser Schule, obwohl abgelegen und weit entfernt vom Hauptort, hat für Aufsehen gesorgt. Das lokale Fernsehen war anwesend und die mobile Nomadenschule wurde in der lokalen und aber auch nationalen Presse behandelt.
Neben anderen Gästen war als Ehrengast der „Hemis-Gyalpo“ anwesend. Er ist eine der mächtigsten Personen im Land, direkter Nachfolger der Namgial-Königsdynastie und hoch angesehen in Ladakh. Ihm gehört auf dem Papier fast halb Ladakh und auch das Gebiet, wo die Nomaden wohnen. Als wir seine Teilnahme an der Zeremonie den Nomaden mitteilten, war eine freudige Erregung und bisschen Nervosität bei den Vorbereitungen spürbar. Um z.B. seinen Sitzplatz herzurichten wurden etliche Matratzen und Teppiche „fachmännisch probegesessen“ und anschliessend sorgfältig ausgewählt. Mit dem Gyalpo kamen auch einige Mönche des Klosters Hemis zur Zeremonie, welches die religiöse Obrigkeit über die Nomaden hat. Diese Besuche haben uns sehr gefreut. Ist es doch absolut aussergewöhnlich, dass so hohe Gäste den 4-5stündigen, beschwerlichen Weg (und ebenso langen Rückweg) über den zweithöchsten Pass der Welt auf sich nehmen, um eine kleine Nomadengruppe in einem so abgelegenen Gebiet zu besuchen. Sie können sich vor Einladungen im bequem zu erreichenden Leh manchmal kaum retten.
Der Tag der offiziellen Eröffnung startete früh mit einem mehrstündigen Gebet um Beistand für die Schule, Schüler und Lehrer am Lhato von Tsering Chenga. Das ist der Wohnsitz der mächtigsten Schutzgottheit Kharnaks. Die Zeremonie begann mit einer Schulbesichtigung und einem kulturellen Programm, welches vom Lehrer und den Schülern mit Gebeten, Versen und Liedern gestartet wurde. Die junge Generation der Nomaden zeigte moderne ladakhische Tänze und Gesänge, die ältere Generation tanzte Schabro, einen speziellen Nomadentanz. Reden vom Gyalpo, vom Führer der Nomaden, von einem religiösen Führer der Nomaden, vom Schuldirektor und mir. Nach Abreise des hohen Besuchs hat sich der inoffizielle Teil mit ausgelassenen Liedern, Tänzen und Beisammensein bis weit nach Mitternacht hingezogen. Für die Nomaden war dieses Fest einer der wichtigsten Anlässe des Jahres.
Reden
Der Führer der Nomaden meinte in seiner Rede, dass die Schule eine enorme Wichtigkeit hat und evtl. über das Überleben der Nomaden entscheiden wird. Der Gyalpo hat seinen Dank ausgesprochenen, dass wir und die MBL Foundation sich die Mühe machen, sich in einer so abgelegenen und schwierig zu erreichenden Gegend zu engagieren. Tashi Morup war an der Eröffnung anwesend. Er ist ein ladakhischer Journalist mit der grössten Erfahrung indienweit und auch international, was Nomaden betrifft. Er hat etliche Publikationen, Artikel, Reportagen im Radio und Fernsehen etc. veröffentlicht. Er sieht in der Schule eine Pionierrolle, welche bei Erfolg für sämtliche Nomadengruppen Ladakhs wegweisend sein könnte, um Nomadenleben und Schulbildung in einer sinnvollen Kombination zu vereinen.
Die Kinder freuten sich, bei ihren Eltern und Tieren bleiben zu können und waren an der Eröffnungszeremonie mehrheitlich ziemlich nervös.
Von den Nomaden hatten wir grosse Unterstützung, wenn es galt Fronarbeit für die Schule zu leisten und wir wurden mit Dank von allen Seiten nur so überhäuft, welchen ich gerne an Euch weiterleite.
Stand und Zukunft der Schule und der Nomaden
Die Nomaden hatten einen miserablen Winter mit grossen Verlusten in ihren Herden wegen des aussergewöhnlichen Schneefalls und der grossen Kälte. Zudem haben Wölfe einige Dutzend Yaks gerissen. Wegen dieser grossen Verluste war die Stimmung diesen Frühling sehr schlecht und alle Zeichen standen auf eine schnelle Abwanderung. Ein, zwei Familien mit Kindern haben sich leider dazu entschieden. Mit der Ankunft der Schule ging ein positiver Ruck durchs Lager.
Der Entscheid der Regierung in einem 250 Millionen Rupie-Projekt (riesige Summe für ladakhische Projekte) die Zufahrtsstrasse zu den Nomaden zu asphaltieren hat auch geholfen, die negative Stimmung zu drehen.
Zudem konnten wir auch von der Regierung direkten Support für die Schule haben (z.B. stark verbilligte Solarlampen für die Abendschule für Erwachsene). Mit dem Anlaufen der Schule sind wir sehr zufrieden.
Den zeitlichen Aufwand für uns haben wir unterschätzt. Aus geplanten 3 Wochen Schularbeit und 3 Wochen Familienferien sind 6 Wochen Arbeit für die Schule und 2 Tage Familienferien geworden.
Der Lehrer hält neben dem Kinderunterricht auch noch eine Abendschule für Erwachsene, wo zwischen 10 und 14 Personen teilnehmen.
Mit dem Lehrer sind wir zufrieden, er ist motiviert, macht einen guten Unterricht und hat eine grosse Akzeptanz bei den Einheimischen. Mit dem kargen Leben hat er aber seine Mühe. Für dieses Jahr haben wir sein Versprechen, dass er bleibt. Es könnte aber einen Lehrerwechsel geben für nächstes Jahr.
Die Nomaden sind der Schule gegenüber sehr positiv eingestellt und haben für die Zukunft Hoffnung geschöpft. Das Schulzelt hat sich sehr schnell zu einem abendlichen Treffpunkt entwickelt. Neben der Abendschule für Erwachsene werden dort auch traditionelle und moderne Tänze und Gesänge geübt. Dazu haben wir einen Kassetten- und CD-Recorder angeschafft.
Die langen Winterferien sind wie hier üblich von ca. Ende November bis anfangs März. Um im März den Lehrer nach Kharnak zu bringen sind wir mit der Regierung in Verhandlung für einen Helikopterflug. Bei positivem Bescheid wird die Regierung für die Kosten aufkommen.
Unser Projekt hat grösseres Ausmass angenommen. Es geht hier nicht mehr „nur um Schule“ sondern um das Überleben der Nomaden von Kharnak und könnte für alle anderen Nomadengruppen richtungsweisend sein. Wir hoffen auf zwei, drei nicht allzu strenge Winter und dann sind wir überzeugt vom Erfolg unserer Schule und dem Überleben der Nomaden in die moderne Zeit.